Sonntag, 22. Juli 2012

„Doch jetzt wird bekannt, dass das Projekt auf Eis liegt“


Prof. Dr. Pfeiffer: "Es ist zu einem gewissen Stillstand gekommen..."

Die Missbrauchserforschung der Deutschen Bischofskonferenz in den Archiven einiger Bistümer steht auf der Kippe. Noch niemandem ist es gelungen, die Gesamtzahlen über die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche in Deutschland vernünftig zu ermitteln – so unterschiedlich sind die einzelnen Statistiken der Bistümer.

München z.B. hat Personalakten durchforsten lassen. Essen, Trier und Stuttgart haben intensiv geforscht und die Zahlen veröffentlicht.  Andere Bistümer geben aber nur Fälle an, die ohnehin schon bekannt waren. So steht z.B. Köln blendend da – die Aufklärer aber schlecht. Da sollte ein Projekt der Deutschen Bischofskonferenz helfen.

Vor genau einem Jahr hat der Hannoversche Kriminologe Christian Pfeiffer mit der Bischofskonferenz eine wissenschaftliche Untersuchung vereinbart.Mit dieser Untersuchung sollen die Personalakten aller  27 Bistümer ausgewertet werden, um Hinweisen zu sexuellen Übergriffen von Priestern nachzugehen. Doch jetzt wird bekannt, dass das Projekt auf Eis liegt. Einige Bistümer stellen sich quer. Über die Einzelheiten: Michael Hollenbach.

Christian Pfeiffer ist verärgert über die katholische Kirche – besser gesagt: über drei Diözesen.
Denn ein Jahr, nachdem er den Vertrag über das Forschungsprojekt mit der Deutschen Bischofskonferenz unterzeichnet hatte, kann sein Team noch immer nicht mit der Arbeit beginnen.
Pfeiffer: „Da haben wir dann doch registrieren müssen, dass die Widerstände innerhalb der Kirche dann doch etwas größer sind, als wir zunächst dachten.“

Renommierte Wissenschaftler, die für das Projekt eingestellt wurden,   haben bereits gekündigt: Sie rechnen nicht mehr mit einer Realisierung der Untersuchung. Der Widerstand einiger Priester und Bischöfe gründet sich vor allem auf datenschutzrechliche Bedenken. Und der Datenschutz stelle in der Tat ein gewisses Problem dar, sagt Thomas Schüller. Er ist Professor für katholisches Kirchenrecht an der Universität Münster.Die relevanten Akten, in denen auch mögliche priesterliche Vergehen dokumentiert sind, liegen nämlich im bischöflichen Geheimarchiv.

Da sagt das kirchliche Gesetzbuch eindeutig: „Akten und Urkundenstücke aus diesem Geheimarchiv dürfen nicht herausgegeben werden. Und darauf bezieht sich die ganze Kritik und darauf wird auch in der Wissenschaft, also in der Rechtswissenschaft, sehr gestritten, ob ein Bischof befugt ist, aus diesem Geheimarchiv, wo die ganzen Sittlichkeitsverbrechen oder Voruntersuchungen über Jahrzehnte gesammelt worden sind, - da liegen die eigentlichen Beweise – dass ein Bischof die nicht herausgeben darf, weil das kirchliche Gesetzbuch an dieser Stelle so strikt ist.

Allerdings sieht Thomas Schüller durchaus die Möglichkeit einer Ausnahme von dieser Regel: „Es kann Situationen geben – und ich zähle die Aktuelle dazu -, dass es aus übergeordnetem Interesse zum Wohle der Kirche sinnvoll sein kann, unter Beachtung des kirchlichen  Datenschutzes – und das wird m.E. eindeutig gewährt  in der Vereinbarung mit dem Kriminologischen Institut in Hannover – dass es angemessen zu sein scheint, eine so flächendeckende Untersuchung aller Personalakten vorzunehmen, um für längere Zeit endlich den Verdacht auszuräumen, man würde weiter in dieser Sache vertuschen, sondern man möchte begreifen, welche Mechanismen gegriffen haben, dass es zu dieser Vertuschung gekommen ist. In dieser Situation ist es ein bitterer Preis, den die Kleriker heute zahlen – ich halte es aber in der Sache für angemessen.“

Die Bistümer München, Regensburg und Dresden halten dies nicht für angemessen. Sie sind aus dem Forschungsprojekt zwischen der Deutschen Bischofskonferenz und dem Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen ausgestiegen.

Der Münsteraner Kirchenjurist hält dies für ein fatales Signal, zumal die Wissenschaftler nur anonymisierte Daten erhalten würden. „Also, wenn man die – auch dokumentierte Vereinbarung -  sich noch einmal anschaut,  besteht überhaupt gar keine Chance, dass der betreffende Täter – auch wenn er verstorben ist, auch wenn er hochbetagt noch lebt – deanonymisieren kann durch den Code, der auch noch einmal geändert wird und am Ende vernichtet wird. Also da können die Priester ganz sicher sein, dass niemals der Name bekannt wird. 

Initiator des Protestes gegen das Projekt ist das erzkonservative Netzwerk katholischer Priester. Sie haben sich von Anfang an gegen das Forschungsvorhaben gewandt, sagt deren Sprecher Guido Rodheudt, Priester in Herzogenrath. „Die Bischöfe unterziehen die Priester erst einmal alle diesem Generalverdacht, indem sie die Akten zur Verfügung stellen. Dieser erste Schritt wird jahrelang erst einmal hängenbleiben und ob dann, wie bei einer Zeitungsmeldung, das Dementi auf Seite 5 auch noch  gelesen wird, wenn’s dann am Ende heißt  „Es war gar nicht so schlimm“, das ist die zweite Frage.

Guido Rodheudt wirft der Mehrheit der Bischöfe vor, nur die Priester an den Pranger zu stellen: „In toto, nur die Priester auf den Prüfstand zu stellen, ist schon deswegen eine fragwürdige Sache, weil ja innerkirchlich diese Gruppe mit dem Verdacht belegt wird, alle weiblichen Ordensangehörigen z.B., Lehrer oder Kindergärtnerinnen, sind davon unbenommen, also in den erzieherischen Bereichen, in denen solche Fälle vorkommen können, werden ausgerechnet die Personengruppen in den Fokus genommen, die ohnehin schon in der Gesellschaft einen Makel besitzt, durch eben seine Lebensformen. Es wird dem Priester alles Mögliche angehangen und jetzt gehen die Bischöfe hin und nehmen ausgerechnet  auch noch in dem Moment dieser Personengruppe der Priester, Diakone und männlichen Ordensangehörigen separat in den Fokus. Das zeigt ja als Signal für jeden klardenkenden Menschen: „Da mit der Gruppe muss was nicht stimmen, die untersuchen wir mal ganz  besonders, alle anderen lassen wir erst einmal laufen“.

Das Netzwerk katholischer Priester hatte sich bereits an den Vatikan gewandt, um das Forschungsprojekt von Professor Pfeiffer zu stoppen. Doch Thomas Schüller rechnet nicht mit einer Intervention des Heiligen Stuhls: „Auch Rom, und das ist deutlich geworden vor einigen Tagen, hat ein großes Interesse daran, dass die einzelnen Bischofskonferenzen in einer „Null-Toleranz-Politik“ entschieden die Geschichte aufarbeiten und vor allen Dingen natürlich auch aktuellen Fällen – es mögen wenige sein – nachgehen.

Der Kriminologe Christian Pfeiffer hofft noch immer, dass sein Forschungsprojekt zum sexuellen Missbrauch durchgeführt werden kann. Notfalls ohne die Bistümer München, Regensburg und Dresden.: „Es ist zu einem gewissen Stillstand gekommen, aber wir sind guten Mutes, dass diese Hürden überwunden werden können, dass das Projekt wie geplant durchgeführt werden kann“.

Mit dem Kriminologen Christian Pfeiffer sprach Michael Hollenbach. (WDR 5)

Quelle (ab Minute 16.20h)  WDR5 (Sendereihe: "Diesseits von Eden: Die Missbrauchserforschung der Deutschen Bischofskonferenz in den Archiven einiger Bistümer steht auf der Kippe".)